Schatten, Video, 2007
Iris Baumann / Jan Voellmy

Text von Maria Becker, Kunsthistorikerin in Basel
Jagdszenen – „Wer pirscht so früh durch Wald und Berg?“

„Der Schryber-Jaggi auf dem Aennerberg hat zu seiner Zeit weitum als ein guter Jäger gegolten, aber in seinen späteren Jahren hat ihm auf der Jagd einfach nichts mehr glücken wollen. Weswegen ihm nichts mehr geglückt ist, das hat der Schmyd Chrischte, der auch ein Jäger ist, zu erzählen gewusst.

Einmal im Dezember ist der Jaggi ins Aecherli am Birge-Berg zur Jagd. Ziemlich viel Schnee ist gelegen, und der Mond hat geschienen. Er ist so hell gewesen, dass man weitum jeden Halm und jeden Zweig hat erkennen können. Wie er im Schutz gesessen ist, hat er vom Ried her schräg gegen sich hin einen Fuchs kommen sehen. Er hat die Flinte in Anschlag gebracht und gesehen, wie der Fuchs mit einem Mal nur auf den Hinterbeinen gelaufen ist. Bet nur, du Dummkopf, hat der Jaggi bei sich gedacht, dir will ich eins überbrennen!

Er hat gezielt, es hat gekracht. Der Fuchs, er hat’s mit eigenen Augen gesehen, ist getroffen zusammengebrochen. Aber als er zu der Stelle hingekommen ist, hat da kein Fuchs mehr gelegen. Er ist in der Richtung gelaufen, aus der der Fuchs gekommen ist, aber er hat auch dort keine Spuren im Schnee finden können.

Die Sache hat ihm keine Ruhe gelassen, und am übernächsten Abend ist er am selben Platz wieder auf die Jagd gegangen.

Er hat noch nicht lange dort gestanden, da sieht er plötzlich im hellen Mondlicht, es ist gar keine Täuschung möglich, einen Mann daherkommen. Ja, da kam einer, ein grosser Mann, aber nur der Stumpf von einem Hals hat ihm oben aus dem Hemd herausgeschaut. Einen Kopf hat er nicht gehabt. Dem Jaggi ist es heiss und kalt über den Rücken gelaufen. Er hat sich nicht mehr getraut, noch weiter hinzusehen, aber erkannt hat er noch, dass der Mann seinen Kopf unter dem rechten Arm trug. Als er sich endlich getraut hat, sich zu bewegen, ist er Hals über Kopf heim, und
seither hat dem Schryber-Jaggi auf der Jagd nie mehr so recht etwas glücken wollen.“ *

Eine junge Frau pirscht durch den Bergwald. Früh ist’s am Morgen, frisch und kühl die Waldluft. Fern leuchten die Berge in der Sonne. Sie hält das Gewehr im Anschlag, sichert nach allen Seiten, den Finger am Hahn. Was hat sie im Visier? Oder wird sie gar selbst gejagt und muss sich vor ihren Verfolgern schützen mit der Feuerwaffe? Doch da ist keine Angst in ihrem Blick. Ruhig streift sie weiter, von Baum zu Baum und von Bild zu Bild.

Fremdartig sind die Jagdszenen und künstlich. Wo sind die Dämonen aus der Innerschweiz? Kein Fuchs weit und breit, und auch kein Mann mit dem Kopf unterm Arm. Gibt es heute überhaupt noch Dämonen? Oh ja, es gibt sie. Manchmal kann man ein wenig von ihnen sehen durch die Bilder hindurch. Sie sitzen da, wo es unsicher ist. Da, wo die Schatten sind, die man nicht erkennen kann. Da, wo man etwas im Rücken fühlt. Da, wo eben noch etwas war und jetzt nicht mehr. Vor den Dämonen muss man auf der Hut sein. Sie sind gefährlich, denn sie locken uns leicht an einen
Abgrund im Bergwald.

Man kann sie allerdings überlisten. Sie können nämlich nur geradeaus gehen und nicht um die Ecke. (Das wussten die Chinesen und bauten Mauern in ihren Gärten, damit die Dämonen keinen geraden Weg gehen konnten). Wir können daraus lernen, dass die geraden Wege gefährlich sind. Um aber die krummen Wege zu gehen, muss man balancieren können. Wenn man balancieren kann, kann man manchmal sogar mit den Dämonen spielen. Dann braucht man sie nicht mehr zu jagen.


* Dämonengeschichten aus den Alpen, hrsg. von Frederik f, Frankfurt/M 1977